Fallbeispiel Düsseldorf: Haftung trotz Versicherung
In einem aufsehenerregenden Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf (Az. 18 U 212/22 vom 17. April 2024) wurde ein Spediteur zur teilweisen Selbsthaftung verurteilt. Der Unternehmer hatte eine vermeintliche Frachtfirma per E-Mail beauftragt, die sich mit realistisch wirkenden Unterlagen – u. a. EU-Lizenz, Führerausweis – und einem Rückruf legitimiert hatte. Doch die Ware – im Wert von über 1 Million Euro – verschwand in der Slowakei.
Das Gericht sprach von „grober Fahrlässigkeit“, weil die Prüfpflicht verletzt worden sei. Die Verkehrshaftungsversicherung musste nur 70 Prozent des Schadens zahlen. Rund 430.000 Euro blieben am Spediteur hängen – genug, um die Existenz zu gefährden.
GDV schlägt Alarm: Fallzahlen steigen exponentiell
Wie dramatisch sich das Problem entwickelt hat, zeigt der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Laut Jens Jaeger, Leiter für Transport- und Luftfahrtversicherung im GDV, sei die Zahl der Fälle „drastisch gestiegen“. Auf einer Fachkonferenz Anfang August betonte er:
Die Zahl der Betrugsfälle durch sogenannte Phantomfrachtführer hat zuletzt drastisch zugenommen.
Konkrete Zahlen liefert Klaus Baier, Sachverständiger bei der Beratungsfirma Desa:
- 2022: 80 dokumentierte Fälle in Europa
- 2024: 266 Fälle
- Januar–April 2025: bereits 202 Fälle
Er schätzt den volkswirtschaftlichen Schaden auf rund 1,3 Milliarden Euro jährlich – vergleichbar mit klassischem Ladungsdiebstahl.
So funktionieren die Täter – und wo die Gefahr lauert
Die meisten Fälle laufen über Online-Frachtbörsen, wo täglich zehntausende Aufträge ausgeschrieben werden. Täter nutzen diese Plattformen als „Recherchetool“, melden sich dann außerhalb der Börse mit leicht veränderten Kontaktdaten.
Der Aufwand der Täter ist gering. Und den Disponenten fallen die Abweichungen in den Dokumenten bei der Schnelligkeit der Auftragsvergabe kaum auf“, sagt Klaus Baier.
Besonders gefährlich: Die Täter agieren heute nicht mehr nur mit gefälschten Identitäten – sie gehen einen Schritt weiter:
- Gründung von Briefkastenfirmen mit echten Handelsregisterauszügen
- Übernahme insolvenzreifer Speditionsfirmen, die dann als kriminelle Hüllen fungieren
- Zugriff auf Frachtbörsen und offizielle Papiere
Ein einziger solcher Betrieb kann bis zu 40 Ladungen betrügerisch übernehmen, so Baier.
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Ziel: Alles, was sich schnell verkaufen lässt
Die Bandbreite der gestohlenen Ware reicht von Kupfer über Smartphones bis zu Düngemitteln.
Es gibt Tätergruppen, die sich auf Elektronik spezialisiert haben, andere haben es auf Lebensmittel abgesehen“, erklärt Alexander Gsell vom Spezialversicherer KRAVAG.
Nach Schätzung von Baier liegt der durchschnittliche Schaden pro Fall bei 100.000 Euro – Spitzenwerte von über 3,6 Millionen Euro seien bereits dokumentiert.
Viele der gestohlenen Waren verschwinden in Osteuropa oder Benelux-Staaten, wo die Gesetze es den Tätern erleichtern.
In einigen Staaten ist der gutgläubige Erwerb von gestohlener Ware rechtlich zulässig“, betont Baier. Das hält den Schwarzmarkt am Laufen.
Experten fordern: Mehr Sorgfalt statt Geschwindigkeit
Trotz Zeit- und Preisdruck appellieren Versicherer und Sicherheitsberater an die Transportbranche, bei der Auswahl von Subunternehmern strikter zu agieren:
- Dokumente auf Fälschungen prüfen: u. a. Domainendungen, Formatfehler, Handelsregisterauszüge
- Referenzkunden einholen
- Kommunikationsdaten mit Stammdaten abgleichen
- Frachtbörsen nur mit Sicherheitszertifikaten nutzen
Etwa drei Viertel der Betrugsfälle entfallen aktuell auf den Identitätsdiebstahl. Durch eine genauere Überprüfung der Auftragnehmer lassen sich viele Fälle verhindern“, sagt Baier.
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