Schon vor Ausbruch der Corona-Epidemie beklagte man in Europa einen signifikanten Mangel an LKW-Fahrern. Derzeit sind bereits über 20 Prozent aller LKW-Fahrerstellen europaweit nicht besetzt. Denn für die meisten jungen Menschen ist der Beruf des Lastkraftfahrers nicht mehr attraktiv. Viele können sich einen Alltag im LKW und auf Autobahnraststätten nicht mehr vorstellen, die Arbeitszeiten sind lang, man ist weit weg von Zuhause und die Bezahlung lässt zu wünschen übrig. Die Konsequenzen könnten wir bald in Form von möglichen Lieferengpässen oder schlimmstenfalls eines Versorgungskollapses mit Auswirkungen wie zum Beispiel leeren Supermärkten oder Ausverkauf von Benzin an Tankstellen zu spüren bekommen.
In einer Studie der International Road Transport Union (IRU) wurden im Rahmen einer Untersuchung des Fahrermangels Berichte europäischer Interessensgruppen aus dem Bereich Transport, Logistik und Spedition ausgewertet und zudem auch eigene Umfragen unter Fahrern, Partnerverbänden und eigenen Mitgliedern durchgeführt. Erkenntnis: In ganz Europa herrscht bereits ein gravierender LKW-Fahrermangel und das Problem gewinnt zunehmend an Brisanz. Denn der Bedarf an Berufskraftfahrern in der Wirtschaft steigt stetig an, aber gleichzeitig ist das Durchschnittsalter in diesem Sektor auch sehr hoch. Viele LKW-Fahrer werden in den kommenden Jahren pensioniert, allein in Deutschland werden bis zum Jahr 2027 gut 40 % der LKW-Fahrer in den Ruhestand gehen. So prognostiziert die Studie der IRU für das Jahr 2020 einen Anstieg des LKW-Fahrermangels um 13 %, europaweit wird der Mangel gewerblicher Frachtführer sogar von 23 % (2019) auf 36 % ansteigen. Und diese Berechnungen beruhen zudem auf Voraussetzungen, wie sie vor den Einschränkungen durch Corona noch vorlagen.
Die Studie hat aber auch gezeigt, dass der Beruf des Kraftfahrers viele Möglichkeiten bietet, Spaß macht und spannend ist. Dieser Meinung sind gut 80 Prozent der Befragten, vor allem die jüngere Generation, die generell zufriedener ist als ihre über 45-jährigen Kollegen. Aber wieso ist die Rekrutierung und Nachwuchsgewinnung in diesem Berufsfeld dann so schwierig? Den Beruf zählt die ManpowerGroup, einer der drei größten Personaldienstleister weltweit, sogar zu den 10 am schwierigsten zu vermittelnden Arbeitsfeldern.
Auch dazu findet die Studie Antworten bei den befragten Mitarbeitern. Einerseits wird angegeben, dass mit den Rekrutierungsmaßnahmen junge Menschen zu wenig angesprochen und über den Beruf aufgeklärt würden und so das negative Klischeebild des Fernfahrers mit ungemütlichen Arbeitsbedingungen und sehr langen Abwesenheiten von Zuhause bestehen bliebe. Hinzu kommt, dass sich kaum Frauen für diesen Beruf gewinnen lassen. Und nicht zuletzt hat offensichtlich auch die Abschaffung der Bundeswehrpflicht vor einem Jahrzehnt zur Verschärfung der Situation beigetragen. Im letzten Jahr der Wehrpflicht absolvierten noch ungefähr 17.800 Wehrpflichtige auf Kosten des Bundes eine Ausbildung zum Kraftfahrer. Während viele dieser jungen LKW-Fahrer nach Beendigung ihrer Dienstzeit dann der Privatwirtschaft zur Verfügung standen, müssen die Transport- und Speditionsbetriebe heute die benötigten Arbeitskräfte selbst ausbilden.
Initiative #LogistikHilft unterstützt in Corona-Krise
Seit Beginn der Corona-Pandemie haben sich die Arbeitsbedingungen speziell für LKW-Fahrer verschlechtert und verkompliziert, denn sie sind ständig unterwegs und werden in Bezug auf Ansteckung und Verbreitung der Krankheit argwöhnisch behandelt. Doch sind es genau die mittelständischen Logistik- und Speditionsbetriebe und deren Fahrer, die unsere Gesellschaft jeden Tag mit Waren und Gütern versorgen. Deshalb ist der LKW-Fahrer genauso zu den systemrelevanten Berufen zu zählen wie auch Ärzte, Pflegepersonal und Supermarktangestellte.
Um den Güter- und Warenverkehr auch in Krisenzeiten nicht zu beeinträchtigen und gleichzeitig die Gesundheit der LKW-Fahrer zu schützen, ist gerade dann eine optimale Versorgung des Fahrpersonals unterwegs von großer Bedeutung. Gemeint ist hier natürlich nicht nur die Versorgung mit den Angeboten von Gaststätten und Kantinen, sondern auch eine ausreichende Verfügbarkeit von sanitären Anlagen wie Duschen und Toiletten. Leider ist dies nicht überall gewährleistet. Mancherorts wurde Berufsfahrern beispielsweise an den Laderampen das Aussteigen und Händewaschen aus Angst vor einer Ausbreitung des Corona-Virus im eigenen Betrieb verwehrt.
Als Reaktion auf diese bestehenden Probleme wurde die gemeinsame Initiative #LogistikHilft des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI), des Bundesverbandes Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL), der Logistics Alliance Germany (LAG), des Fraunhofer IML und des gemeinnützigen Vereins DocStop / SaniStop, ins Leben gerufen, um solche Defizite kurzfristig, unbürokratisch und schnell zu beheben. Ziel der Initiative ist es, alle in Transport und Logistik operativ Tätigen zu unterstützen und damit die Versorgung von Gesellschaft und Wirtschaft sicherzustellen. Dies gilt vor allem mit Blick auf faire und angemessene Arbeitsbedingungen für LKW-Fahrer.
Dazu werden u. a. Akteure aus Handel Industrie und Logistik, aber auch die Betreiber von Rast-, Autohöfen, Tankstellen und Parkplätzen aufgerufen, sich zu beteiligen. Denn nur, wenn die LKW-Fahrer gesund, gut versorgt und ausgeruht ihre Fahrt quer durch Europa antreten, kann eine reibungslose Funktionsfähigkeit der Lieferketten sichergestellt werden.
Sofortmaßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Fahrpersonal
Zusammen mit ebenfalls von der Corona-Krise betroffenen Betrieben, die üblicherweise Baustellen, Messen, Konzerte und Volksfeste mit sanitären Anlagen versorgen, hat das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) ein Konzept zur Soforthilfe erarbeitet und umgesetzt. An nicht bewirtschafteten, aber besonders rege genutzten Raststätten und überall dort, wo die Kapazitäten der sanitären Anlagen nicht ausreichen, wurden mobile Toiletten und Duschcontainer aufgestellt. Zudem wurden vom BMVI auch Mund-Nasen-Schutzmasken, Dusch-, Wasch- und Desinfektionsmittel zur Verfügung gestellt. Eine Vielzahl von weiteren Standorten wie z. B. Logistikzentren, Laderampen, Umschlagbahnhöfe, Containerterminals, an denen temporäre sanitäre Anlagen bereitgestellt werden mussten, wurden ermittelt und aufgerüstet bis die betreffenden Unternehmen ihrerseits dauerhafte Lösungen finden, wie ein Aus- bzw. Umbau oder die dauerhafte Anmietung von mobilen sanitären Anlagen.
Überdies will das BMVI mit weiteren Maßnahmen eine permanente Grundversorgung sicherstellen. So hat man zu Beginn der Corona-Krise die europäischen Länder gebeten, im Rahmen ihrer Zuständigkeit die WC-Anlagen auf nicht bewirtschafteten Rastplätzen 24/7 geöffnet zu halten und deren Reinigung zu intensivieren. Diesbezüglich haben die meisten Länder auch ihrerseits Maßnahmen eingeführt, um die Arbeitsbedingungen der LKW-Fahrer zu verbessern. Mittlerweile wurden zudem spezielle sanitäre Anlagen und Fernfahrerduschen in Betrieb genommen, welche LKW-Fahrer mit einer Chipkarte kostenfrei nutzen können.
Ansprechende Rekrutierungspolitik und Ausbildung gegen LKW-Fahrermangel
Neben der Verbesserung der Arbeitsbedingungen ihres Fahrpersonals sollte die Transport- und Logistikbranche – so die Meinung der Geschäftsleitung des IRU – ihre Rekrutierungspolitik überdenken und ändern. Das Image des Transportsektors müsste dringend verbessert werden hin zu einem attraktiven und zukunftssicheren Arbeitgeber. Zudem sollten vor allem junge Menschen und vermehrt Frauen angesprochen und für den Beruf der LKW-Fahrerin oder des LKW-Fahrers begeistert werden. Überdies besteht auch bei Infrastruktur, Abläufen und nicht zuletzt „den unzureichend ausgeprägten menschlichen Umgangsformen“ Nachholbedarf, damit sich wieder mehr Menschen in diesem Beruf wohlfühlen können.
Diesem Ruf folgend entstehen bereits seit einiger Zeit immer mehr Bestrebungen und Nachwuchsinitiativen, um genau diese Zielgruppen anzusprechen und zu fördern. Erfahrungsgemäß lohnt es sich, den Nachwuchs in allen Bildungsebenen zu suchen: unter Haupt- und Realschülern, Gymnasiasten, Studenten und Absolventen, aber auch Quereinsteigern. Außerdem stehen mittlerweile unzählige Möglichkeiten zur Verfügung, neue Mitarbeiter mit E-Learning-Modulen flexibel, zeit- und ortsunabhängig aus- und weiterzubilden. Gerade bei der jüngeren, digital versierten Generation sind E-Learnings und Online-Lernangebote sehr willkommen und weit verbreitet.
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